Ethno Pøp

Manch einer Leser wird sich vielleicht wundern, wo denn die unzähligen "Dönerladen - Bier - 1,50DM - Kotzen - Furzen - Pissen"-Konzertkritiken diesmal geblieben sind. Da Berlin im August von den üblichen Krachgruppen verschont geblieben ist und sich auf seine Rolle als "Kulturstadt Europas" besann, können wir über Musik berichten, die schwarzgewandte Pumphosniks oder fesche resche Psychos nur selten an ihre mehr oder minder leicht abstehenden Ohren (der Autor dieser Zeilen ist ein fanatischer Anhänger leicht abstehender Ohren) lassen. Daß niemand 'Klassik' hört, ist mir klar, doch widmeten sich in den letzten Monaten anscheinend viele Leute, durch schleimendes Inside-Lobgedudel sattsam bekannter Hochglanzpostillen angeheizt, den volkstümlichen Klängen, die man unter dem Kennwort "Ethno-Pop" zusammenzuwerfen pflegt. Da mittlerweile unsere Freunde von 'Bravo' mehrseitig über all die Kuntas und Kintes in den schmucken bunten Gewändern berichten, will der 'Staubsauger' nicht länger im Abseits stehen. Was heißt hier übrigens 'World Music' oder 'EthnoPop'? Als Trend (wie etwa das plötzliche Verlangen nach Paradebeuteln) kann man dies kaum bezeichnen, da diese Musik schon lange existiert und auch noch gespielt werden wird, wenn in Deutschland die Jugend ganz wild nach - sagen wir mal - den gesammelten Rülps- und Furzgeräuschen behinderter newyorker Taxifahrer (oder gesampelter?) sein wird. 'World Music' erfand man in der Musikindustrie (WoM?), um endlich eine Ablage zu haben für den ganzen Kram, mit dem nach Zimbabwe strafversetzte Mitarbeiter ständig per Nachnahme die überquellenden Archive beschicken. Außerdem bietet man der 'Tip' oder 'Tempo' - Lesermischpoke eine Musik an, die sie zwar weder verstehen noch gutfinden, mit der sie sich aber erhaben dünken können über all die Prolos, die Negermusik nur in der weiß- und weichgewaschenen US-Version dulden. In diesem Zusammenhang mag folgende Meldung amüsieren (es sei darauf hingewiesen, daß der zusammengeflickte Tanzaffe seinerzeit von Persil gesponsert wurde:

Michael Jackson Seifenwarnung

Dunja RajterEigentlich ist ja alles ein alter Hut. Fing es nicht in den frühen 70er Jahren an, als Johnny Wakelin sich "In Zaire" herumtrieb, France Gall den "Kilimandscharo" feierte und mit den siedendheißen die Kalebassen zum Kochen brachte? Damals schon "und die braunen Mädchen drehen sich im Kreise und sie tanzen Tschagada, das ewig alte (sic!) lied". In Europa litt Martha am "Taiga Blues", Edina Pop (sic!) feierte "Carneval Brasil", und Dunja Raiter oder Alexandra machten uns mit den geheimnisvolle Riten östlicher Steppenbewohner bekannt. Wer tanzte nicht vor neun Jahren zu Dschingis Khans ethnisch musikalischen Streitzügen durch den Orient? Auch die Volksmusik unserer westlichen Nachbarn fand Einzug in das deutsche Musikleben, ob schottisch durch Dorthe ("Jeder Schotte hat in Schottland ein Schottenröckchen an", Verwendung fanden genuine bagpipes) oder schwedisch durch Kirsti ("Ein Student aus Upsalalalalalalalalalalalalala"). Und wie genial verschmolz Bata Illic westliches und östliches Gedankengut in "Mit meiner Balalaika war ich König auf Jamaika", während Bettina Storm fernöstliches Fluidum mit dem einzigen Schlager, in dem Makrelen vorkommen ("Hokkaido"), verbreitete.Wenn also demnächst ein blasierter ausrasierter Nacken ihnen hochmütig mitzuteilen geruht, er hab neulich dem Konzert einer ganz außerordentlichen dschibutischen Popgruppe beigewohnt, verblüffen; sie ihn durch ein gelangweiltes "Kenn ich! Siw Malinquist hat von denen eine Coverversion gemacht." Bei der Weltoffenheit des deutschen Ethnoschlagers liegt man nie ganz falsch. Dabei fällt mir - vollkommen ohne jeden Zusammenhang - die Reklame vom Möbelhaus Polke ein. Was mag man nur damit andeuten wollen, daß dort "Wohnatmosphäre hautnah erlebt" werden kann? Muß sich der arglose Kunde etwa nackt ausziehen und mit elf anderen Nudisten auf ein Ledersofa ("handschuhweich") zwängen? Rätselhafte Welt der Fernsehreklame - vielleicht wird Onkel Max nach seiner Rückkehr von den westdeutschen Wäldern und Wiesen uns dieses Mysterium in seiner bekannten launig-skurrilen Art deuten können. Das war es eigentlich für heute.

Michael Gerhardt

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© 1988 Ich und mein Staubsauger    [Zurück zum Titel]