Darf man Hippies erschlagen? Ich meine nicht jene langhaarigen Fusselmonstren mit buntbestickten Jeansschlaghosen. sondern jene bassermannschen Gestalten. die man 'Designer-Hippies' oder 'TAZ-Leser' nennen sollte oder meinetwegen döbelingsche Gestalten). Ur-Hippies haben ja schon wieder Stil. Neo-Hippies (Hippies in disguise? Undercover-Hippies?) haben alles, nur weder Stil noch Schamgefühl. Allein, wie sie ihre häßliche Brut mißbrauchen, reizt zum Zuschlagen. Warum sehen diese Leute nicht ein, daß sie weder ihren Kindern noch den normalen Zuhörern eines Konzertes einen Gefallen tun. Wer sich Kinder anschafft, hat für sie da zu sein, und sie nicht nach dem Motto "Jennifer ist doch schon drei, da kann sie mit zum Motörhead-Konzert" zu vergewaltigen (Huhu Helga Hentschel von der AL, wo bleibst du?). Aber was soll man von Leuten erwarten. die, während drei ältere Bulgarinnen herzergreifende Weisen von makelloser Schönheit a capella darbieten, nichts besseres zu tun haben, als sich Wurst und Bier zu holen, zu rauchen oder staubdoofe Designergespräche zu führen ("Also für meine Ohren klingt diese Musik ziemlich fremd.").

Genug dieser trüben Tatsachen, die Bastardisierung der Welt werde ich nicht aufhalten können, und schließlich war da ja noch die Musik: Das "Trio Buigarka" (Yanka Rupkina, Stoyanka Boneva. Eva Georgieva) brachte fünf ältere Herren als Begleitung mit, die einige Instrumentalstücke hervorragend vortrugen, doch am eindrucksvollsten blieben die a-capella-Stücke. Beschreiben läßt sich das schlecht, auch sind die Harmonien manchmal sehr ungewöhnlich, unvergleichbar mit vielleicht vorhandenen Balkanvorstellungen (irgendwas zwischen Puszta und Wolga), aber einfach kristallklar schön. Die drei Damen gehören zum Radiochor Sofia, dessen 25 weibliche Mitglieder der Welt die Platte "Le mystere des voix Bulgares" schenkten, und dessen Mitglied Yanka Rupkina besonders geheimnisumweht ist.  "She has led a dramatic life" versichert der Hüllentext der wunderschönen Trio Bulgarka - LP "The forest is crying", z.B. überlebte sie als einzige einen Flugzeugabsturz, der einige der bedeutendsten bulgarischen Sänger dahinraffte. Was die drei Damen hinzauberten, war schon bezaubernd, doch auch die Herren wußten zu gefallen, besonders der rundliche Trommler, der solchen Enthusiasmus entwickelte, daß er mit sämtlichen Armen, Beinen, Ohren und Nasen hüpfte, trommelte, sprang wackelte.

Der bulgarische Trommler lachte, daß seine Goldzähne nur so blitzten.

Genau so ins Tanzen und Hüpfen kam man bei den Musikanten aus Ungarn. Marta Sebestyen und die Gruppe Vujicsics entstammen der serbischen Minderheit in Ungarn und spielten sich durch die ganzen Donauländer türkisch beeinflußte lieder aus dem Süden, herzzerreißende liebesklagen aus Transsylvanien (von Marta solo vorgetragen, mit einer Stimme von filigraner Schönheit, die jedes Instrument überflüssig machte), Rundtänze aus den magyarischen Gebieten - PusztaPop, der "ins Blut geht", wie man leider sagt. Erschütternd das Bild der döbelingschen Gestalten, die dabei zu tanzen vorgaben: man bewegte sich vorwärts- und rückwärts-schwankend wie hospitalistische Reggae Neger beim Maisstampfen, anstatt Hüften, Schultern und Beine einzusetzen, wie Marta zaghaft vormachte.Oh Marta, welch zauberhaftes charmantes Wesen bist du! Ein Mädchen zum liebgewinnen, zunächst sich schüchtern zurückhaltend, dann immer selbstbewußter werdend, tänzelte sie schließlich über die Bühne, entzückte mit einer Art Johl-Jodeln und stieg zuletzt wie Terpsichore vom Parnaß in die sumpfig-dumpfe Niederung und organisierte einen Rundtanz, Vujicsics dudelten pfeffrig-feurig oder quäkig-schaurigschön und wiesen einige groteske Instrumente sowie einen Meistergeiger auf. Nur zu Recht verkaufte sich ihre Platte wie walnußeis in Kreuzberg. Hoffentlich ziehen sich die Hippies beim Tanzenüben zu Hause wenigstens die häßlichen Sandalen aus, sonst bleibt man ja ewig im Flokati hängen. Übrigens: ich glaube fast, man darf.

Der Osten

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© 1988 Ich und mein Staubsauger    [Zurück zum Titel]