Ja, es ist wahr: In Brunsbüttel kann man enorm gut parken.
Es ist schon ungerecht. In Berlin gibt es die nettesten Lokale und Geschäfte,
aber nirgendwo ist ein Parkplatz. Die Parkplätze sind ausgerechnet in Brunsbüttel,
wo es überhaupt keine netten Lokale und Geschäfte gibt. Da hat Gott
gepennt und die Regierungen schlafen natürlich auch. Nur ich penne nicht.
Mit wachen Augen registriere ich Veränderungen in meiner Umwelt, registriere
alles, Lobens- wie Beklagenswertes. Lobenswert ist, daß bei Hertie Turmstraße
das Toilettenpapier jetzt endlich nicht mehr in der Schreibwarenabteilung, sondern
in der Lebensmittelabteilung erhältlich ist. Negativ hingegen muß
man es nennen, daß es ebenda das gute schwedische Pripps-Bier in den hübschen
blauen Dosen nicht mehr gibt und überhaupt, daß trotz der weggefallenen
Importbeschränkungen das Angebot an interessanten ausländischen Bieren
eher immer magerer denn reichhaltiger zu werden scheint- Besonders vermisse
ich Gueuze, die erfrischende Brüsseler Sauerbierspezialität. Ebenfalls
interessiert nehme ich natürlich Veränderungen irr meiner nahesten
Umgebung, namentlich in meiner Wohnung, wahr. Da steht zum Beispiel ein neuer
Stuhl, der da neulich noch nicht stand. Ein besonderer Stuhl, kein ordinärer
Freischwinger oder original Thonet, nein ein original norwegischer Westnofa-Balans-Vitastuhl
der Firma Hag. Das Konzept heißt: Intelligentes Sitzen. Darunter versteht
man eine Mischung aus Stehen und Knien. Das Gesäß wird auf eine nach
vorn geneigt Polsterfläche befestigt, die Schienbeine legt man auf eine
im entgegengesetzten Winkel schräge, ebenfalls gepolsterte "Schienbeinauflage;
eine Lehne gibt es nicht. Das klingt nach ausgeklügelten Foltermethoden,
und das Gerät ähnelt auch eher einem verbogenem Blumenständer
als einem Stuhl, aber probesitzen gedurft habende Besucher teilten allesamt
meine Meinung, man sitzt entspannter, beschwingter; man könnte auch sagen:
"Junges Sitzen" oder "Der Champagner unter den Stühlen". Gewöhnungsbedürftig
ist die neue Sitzmethode allerdings, jedesmal bevor ich mich setzen will, muß
ich kurz überlegen, wie das denn eigentlich geht. Es kann auch sein, daß
sich eine Art physische Schizophrenie einstellt, weil die obere Körperhälfte
wie auf einem Pferderücken sitzt, und die untere kniet, also oben Reitstunde,
unten Gottesdienst, die Körpermitte wird obendrein immer etwas nach vorn
gestülpt, sodaß balans-sitzende Frauen immer merkwürdig empfängniswillig
aussehen. Interessant ist sicher auch daß man durch intensives "Intelligentes
Sitzen" an einer Stelle ins schwitzen kommt, an der man wirklich selten bei
Menschen Schweißperlen rinnen sieht, nämlich an den Schienbeinen.
Probesitzen kann man jederzeit in Studio "Neues Sitzen" in der Bülowstraße,
gegenüher des Plattengeschäfts "Mr. Dead and Mrs. Free" (oder umgekehrt)
wo ich neulich eine Elvis-Costello-Single kaufte, auf der Elvis Costello gar
nicht singt, sondern ein fremder Mann brummt. Ich war zuvor nie in diesem Laden
gewesen, weil ich gehört habe, daß dort eine Frau arbeite die auf
ein Kundenbegehren, mal in die letzte Max Goldt-LP reinhören zu dürfen,
geantwortet habe, das ihr das um Gottes Willen niemand zumuten könne. Je
nu, was für ein törichtes Weibsbild, Schwäbin vermutlich, die
lieber Sannnnntttttttttrrrrrrrrra oder Chris Isaacs hört. Letzterer (von
dem ich noch nie eine Note gehört habe), ist übrigens auch ein liebling
von Berliner Gymnasiasten. Das weiß ich aus dem Engelsboten, einer erwähnenswerten
unbekannten kleinen Zeitschrift, herausgegeben von Gilbert, Anne, Frederik,
Jann, Candida und Nikola, allesamt Schüler der Steglitzer Fichtenberg-Oberschule.
In diesem Heft gibt es einen Plattenspiegel, in dem sich Lehrer und ein prominenter
Gastkritiker über alle möglichen Pop-Plätten äußern,
besonders gräßlich Frau Holtfrerich, offensichtlich Englisch-Lehrerin,
da sie ihre Kommentare auf englisch abgibt (über Marc Almond: "Fond beginning!
Interesting rhythm, beautiful voice. I like the flute.", über Bowie: "lt
is not really my cup of tea"). Auch Foyer des Arts ist nicht ihre Tasse Tee,
denn "leider ist die Musik oft zu laut und deshalb störend". Noch döfer
scheint Frau Graf zu sein, sicher Deutsch, Sport, Gemeinschaftskunde, denn The
Colourfield ist ihr "zu langsam zum Tanzen", und die Colourfield-Zeilen "I love
her, I need her, I want her" findet sie "so schrecklich abgedroschen und banal".
Jämmerliche sozialdemokratische Heulsuse, die, und sowas unterrichtet unsere
Jugend. Jemand, der eine unprätentiös formulierte liebeserklärung
für "abgedroschen und banal" erklärt verdient nichts weiter als einen
Tritt in den Arsch , oder noch wo schlimmer hin. Der Clou am Plattenspiegel
ist aber der Gastkritiker Oskar Lafontaine, den die Engelsboten in typisch jugendlicher
erfrischender Dreistigkeit um einen Beitrag für ihr Heft gebeten haben.
Zu "The Colourfield" meint er, daß das die Musik sei, "die man - glaube
ich - neuerdings als Mainstream Rock bezeichnet". Zu Prince vermeldet er: "Der
Superstar betont wie gewohnt mit Hilfe seiner excellenten Percussionisten vor
allen Dingen den Rhythmus". Zu Foyer des Arts: "Bei mir kommt keine Hörfreude
auf". Es war auch wirklich nicht beabsichtigt sozialdemokratischen Spitzenpolitikern
"Hörfreude" zu verschaffen, will ich dazu nur kühl anmerken. Jetzt
mache ich Schluß, denn ich habe schon wieder feuchte Schienbeine.
Ich habe schöne Waden |