Michael "culture vulture" Gerhardt präsentiert:

6.8. Waldbühne - Gustav Mahler Jugendorchester / European Communmity Youth Orchestra / Claudio Abbado / Jessye Norman

(in außergewöhnlich schlichtem "klassischen" Layout)

Der Abend in der Waldbühne fing vielversprechend an: statt mich zwischen Schwaben, Tunten und campende Großfamilien in den Seitenrängen quetschen und wohlmöglich noch nervtötende Bemerkungen a la "ha noi isch des a dick's Mädle" (Jessye Norman ist zwar unglaublich beleibt, aber bei der Stimme ist es egal, ob jemand drei Zentner oder drei Gramm wiegt) ertragen zu müssen, ließ mich ein reizender junger Mann allein aufgrund meines 'Staubsauger'-T-Shirts in den reservierten Mittelteil, wo ich mich zwischen lauter wienerisch raunzenden Mitgliedern des Wiener Jeunesse Chores den klassischen Genüssen hingeben konnte und mir dabei vorkam wie mitten auf dem Naschmarkt. Zu allem Überfluß hatte ich zur Atzung zwei Packerl Manner Neapolitanerschnitten dabei. Fehlte eigentlich nur noch ein Flaschen 'Almdudler'. Leider bot man nur ganz unpikante ordinäre Kracherl an.

Ach ja, die Händler, ein düsteres Kapitel eines jeden Waldbühnenkonzertes. Mag auch nur mir die Verbindung "Gustav Mahlers III. Sinfonie - 1/2 Hähnchen 3,90 DM" etwas profan erscheinen, zumindest die Eis- und Getränkeverkäufer wußten durch gezielten Einsatz während besonders besinnlicher Stellen in weiten Kreisen Unmut hervorzurufen. Immerhin verhinderte das Umfüllen der Getränke in Pappbecher, daß aus der Sinfonie ein Konzert für Coladosen und Orchester wurde.

doofer stinkender Raucher Zornerweckender waren da eher die Raucher. Was machen diese Herrschaften nur in der Philharmonie, wo man zwei Stunden lang Musik hören muß und keinen Stinkestengel zwischen die grindigen suchtbebenden Maulhälften einführen kann. Übrigens ist Rauchen eine der - wenigen - Tätigkeiten, die Frauen beherrschen, sogar bis zur Perfektion. Es kümmert einen Raucher nicht, daß in der engreihigen Waldbühne der Qualm besonders belästigt. Rauchen ist halt faschistisch.

Unsere übelriechenden Lärmquellen (=Kinder) kamen erst sehr spät zum Einsatz, als Mrs. Norman endlich den ihren hatte und im 4. Satz so ergreifend "Oh Mensch gib acht" mit einer Inbrunst sang, die die zur Zeit in den Charts grassierenden Pipimädchen bleich vor Scham in den nächsten Fluß treiben sollte. Aber man sollte nicht die - unschuldigen - Kinder schlachten, wie ich im ersten Zorn einem grob verdutzten wiener liebespärchen in den Rücken zischte, sondern die asozialen Egoisten (=Schlampenmütter), die zu faul sind, auf die Blagen aufzupassen / aufpassen zu lassen und sie überall mitschleppen, wo sie garnicht hinwollen. Wären die Kinder so scharf auf klassische Musik, säßen sie andächtig auf der Wiese und lauschten, so aber langweilen sie sich, machen Krach und nerven. Warum richtet man bei Veranstaltungen dieser Art (siehe auch HeimatKlänge) nicht Krabbelstuben für Kinder ein? Die Musik war dagegen erhebend und wunderschön. Imponierend, was Abbado alles aus den Youngstern rausholte. Endlich jemand, bei dem 'schnell' gleichzeitig 'packend' bedeutet, das Fortissimo donnerte wie Gewitter, und beim Pianissimo vernahm man sogar die Stöckelpumps einer weit entfernten Verkäuferin. Den zweiten Satz mit dem wunderbaren Posthornsolo interpretierte er jenseits aller Gefühlsseligkeit mit einer geradezu transzendenten Todessehnsucht (dies war ein Satz für Tagesspiegel-Leser). Die Macht der Musik siegte über die Mängel der Anlage, die mich besonders am Anfang an meinen kleinen weißen Quelle-Plattenspieler für 99 DM von 1974 erinnerte. Zum Schluß gabs eine standing ovation, und es klatschten auch die, die vor lauter Rauchen und Trinken nicht zum Hören gekommen waren. Wundervoll ist es, die von Scheinwerfern und Kerzen beleuchtete und von 20000 johlend klatschenden Leuten gefüllte Waldbühne von unten nach oben zu erklimmen, wunderbar, als bestiege man einen Berg des Applauses. Da die BVG regelmäßig zusammenbricht, wenn sich mehr als drei Leute zusammenrotten, um den öffentlichen Nahverkehr zu benutzen, konnte ich mich glücklich preisen, einen der wenigen Einsatzbusse zu erwischen, um noch pünktlich zu John Peel's Music zu Hause zu sein.

7.8. Sputnik-Kino - Filme von Kenneth Anger 7.8. Sputnik-Kino - Filme von Kenneth Anger

netter TeufelIm schönen Sputnik-Kino mit den netten Leuten gabs im August Kultfilme zu sehen, eigentlich etwas Scheußliches, da bei solchen Gelegenheiten lauter Leute, die "im sozialen Bereich arbeiten" o.ä., zum achtzigsten male 'Hinsagrmpfda' oder 'Krky Bllor Hta Ho' (solchen Mist muß ich nicht ausschreiben) schauen wollen. Darüberhinaus bot man neben wirklichen Klassikern ('Letztes Jahr in Marienbad', 'Barbarella') eine kleine Auswahl von Filmen Kenneth Angers.

'Scorpio Rising' widmet sich Männern und Motorrädern auf recht nette Weise und zu schönen Mittsechziger-Hits. 'Inauguration of the Pleasuredome' entstand wohl unter Drogeneifluß und ist so wahrscheinlich am besten zu genießen - eine groteske Orgie von Preziosen, Masken, Teufeln, Tunten. 'Eaux d'artifique' ein wunderschöner Kurzfilm über barocke Wasserspiele, die zu entsprechender Musik bei Mondlicht verfilmt wurden. Diese optische Pikanterie kam natürlich nicht bei dem Ekelpaar hinter mir an, das sich nicht nur entblödete, im Kino zu rauchen, sondern auch, die Musik mitzukeuchen. Wie gut, daß dieses Pack vorzeitig den Raum verließ. Also geht mal wieder ins Sputnik und gönnt euch einen netten Abend mit einem der letzten quietschenden Kinovorhänge Berlins.

© 1988 Ich und mein Staubsauger    [Zurück zum Titel]