Kritik am Bildschirm

Nein, ein Mekka des Grotesken ist unser geliebt-behämmertes England wahrlich nicht, davon überzeugte ich mich beim jährlichen Pflichtaufenthalt für Staubsaugerschreiber (ein zivilisierter Mensch sollte einmal im Jahr nach England fahren, da wird die Pflicht zur Lust). Den kuriosesten Eindruck hinterließ das Klo der National Portrait Gallery, kündete dort doch ein an der Wand befestigtes Täfelchen, daß ebendieser Waschraum im 'National Loo Guide 1987' zwei Sterne erhalten habe. Ein Land, das sich eines nationalen Toiletten-Tourismus rühmen kann, muß man einfach gernhaben.

[England]

Gernhaben, ach was: lieben muß man auch die englischen soap operas. Wer einmal 'Brookside' sah und mit wachsendem Unvermögen, dem abstrusen liverpudlian dialect zu folgen, eine ebenso wachsende Faszination verspürte, wird mir beipflichten. In der 'lindenstraße der Merseyside' versammelt sich wöchentlich dreimal(!!!)ein kapriziöses Völkchen von pickligen Polizisten, gutaussehenden Jungwitwern, genuinen Britenschlampen, Stimmungskanonen, Pechvögeln, besorgten Vätern und besoffenen Töchtern. Und ER, Jamie, der arbeitsloseste aller Arbeitslosen (zur Erinnerung: die hübschen Briten heißt man JAPMs - Junge Arbeitslosenpopmusiker, kurz 'Arbeitslose', in der ästhetischen, nicht der soziologischen Bedeutung), das ferkligste aller Lustferkel, sehenswerter als St. Paul's und Hyde Park zusammen. Was das ästhetische betrifft, so liegt die Arbeitslosenquote bei britischen Jünglingen sicher um die 60% (jeder mag sich ausrechnen, welche Mißfallensäußerungen mir nach meiner Rückkehr die unzähligen häßlichen Schnäuzerberliner und die verwachsenen Bassermannschen Gestalten der hiesigen Homoschuppen entlockten).

In Diskotheken wie 'The Bell' freut man sich nach einiger Zeit über jedes häßliche Gesicht als Beweis dafür, daß man sich noch in irdischen Gefilden und nicht im güld'nen Paradeis befindet.

Die britische Damenwelt ist nicht so auffällig von Gott begünstigt worden, übertrifft das deutsche Gepunte aber um Längen. Auch das überschminkteste britische Pipimädchen gemahnt noch an eine aristokratische Schlampe, während die deutsche Witboy-Funz wie eine Kaugummi-widerkäuende Kuh durch die Welt trampelt.

1.
Wenden wir den gequälten Blick zur alsbaldigen Balsamierung den Prolos von 'East Enders' zu, der zweiten wunderbaren Serie, die 'Brookside' an absoluter Unverständlichkeit nahekommt. Da sich nur der jüdische Doktor und seine Schwester jenes Idiomes bedienen, das unserereiner vor Jahren in der Schule als 'Englisch' weisgemacht bekam, rät der unbedarfte Zuschauer, was da wohl passieren mag, und ist ganz stolz, wenn er nicht vollkommen danebenliegt (mein walisischer Gastgeber hatte auch seine Schwierigkeiten). Nur durch die Analyse von Gestik, Mimik und Tonfall der Darsteller fand ich z.B. heraus, daß Simon die Taktlosigkeit besaß, mit Donna in Anwesenheit seiner Noch-Freundin Mega zu flirten, worauf diese pikiert das (?) Pub verließ. Ganz besonders ins Herz schloß ich Ethel, eine Greisin, die allen Leuten ihren rosa Plüschelefanten unter die Nase hält, und ihre Busenfreundin Dot, die zur Zeit eine Halskrause tragen muß, was natürlich mannigfaltige Möglichkeiten für launige Fragen und bissige Antworten bietet. Am lustigsten ist es, wenn man nichts versteht.

Mittelschicht-Doktor Der Mittelschicht-Doktor aus 'East Enders' kommt mit dem Patientenbericht des Unterschicht-Patienten Divvi O'Donnel überhaupt nicht klar.

"Gerrit doon ya nek leek, maet... was soll denn das wieder bedeuten? Ich glaub, ich ziehe besser nach Belgravia......"

"Vielleicht ist es Urdu, Herr Doktor?"

2.
Den vollkommenen Gegensatz dazu bilden daher 'Dallas' und 'Dynasty': man versteht so ziemlich alles, aber lustig ist es überhaupt nicht. Abgesehen davon, daß bis auf Joan Collins die Denver- und Dallasvotzen alle gleich aussehen, ereignet sich nichts, was irgendwie interessieren könnte. Und wenn Alexis beim Tauziehen mit Lena Valaitis (es hat sich noch nicht überall herumgesprochen, daß linda Evans schon vor Jahren vom litauischen Geheimdienst und der GEMA durch die ihr verblüffend ähnliche Lena Valaitis ersetzt wurde, was aber auch dem Ungläubigsten beim großen showdown der letzten Folge klarwerden wird, wo Krystel plötzlich eine Gitarre ergreift und 'Johnny Blue' zum besten gibt, mit welchem lied sie in den 70ern beim Grand Prix schon einmal eine mittlere Katastrophe auslöste) in den Matsch fällt, gähnt man ein wenig und schaltet auf eine BBC-Dokumentation über Unterwasserarchäologie um. Dabei ist die Lena-Valaitis-Show nicht einmal die schlimmste Amikacke: beim Anblick von 'Bill Cosbys Familienbande' wünsche ich mir immer die gute alte Zeit der Sklaverei zurück, wo die Mohren Baumwolle pflückten und Gospel sangen, und 'Ein Engel auf Erden' kann sogar einen Bischof zum wilden Atheisten machen, der angesichts dieses Gesülzes und Geschmachtes den Vorsatz faßt, in Zukunft nur noch böse, schlecht und ungerecht zu sein.

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3.
Schweigen wir über dieses eklige Land mit seinen unangenehmen Bewohnern, das Gute liegt doch so nah. Und was liegt der Staubsaugerzentrale näher als die 'Praxis Bülowbogen'? Kann man ohne Anita Kupsch auskommen, die in jeder Folge mehr Sex versprüht als 2000000 Feministinnen? Bestimmt trägt sie nichts unter ihrem lasziv geknöpften Arztkittel und betört in den Drehpausen die türkischen Scheinpatienten. War Günther Pfitzmann jemals besser als bei seinen Hausbesuchen in kuriosen Prolohaushalten oder Musikerkommunen? Höchstens bei der leider viel zu selten gezeigten Reklame für Schnapspralinen ("Mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm..."). Außerdem habe ich manchmal den Eindruck, 'Praxis Bülowbogen' werde vom Senat gefördert, damit jeder Berliner einmal ins Fernsehen kommt. Die berliner Bevölkerung teilt sich in die, die schon mal Statisten waren, und die, die in den nächsten 50 Folgen drankommen.

Leider spielt die göttlichste Fernsehserie nicht in Berlin, sondern im doofen München. 'lindenstraße' - "ah! geile Ficksahne" möchte man wie jenes Busenwunder aus einem 70er-Porno ausrufen angesichts der wöchentlichen Orgasmen von Originalität und Platitüde. Welch Kaleidoskop der menschlichen Gesellschaft: Pfaffen, altkluge Knaben, Naziopas, fiese Hauswartsfrauen, peinliche Punks, trunkene Ärzte, rauchende Friseusen, kuriose Hausfrauen, Homos (wer Carsten Flöter 'Carsten Flöter' genannt hat, verdient einen Eintrag in das Goldene Buch des Humors, auch wenn mich manchmal das Grauen packt bei der Vorstellung, der nette Robert müsse auf Carsten Flöters Flöte ein heißes Blaskonzert ... – halt! was zuviel ist... obwohl, was sind schon Namen! "Der kleine (ha ha) Punkjunge (Max Goldt) Tom Scheutzlich ist z.B. überhaupt nicht scheußlich, ganz im Gegenteil, und in Bayern gibt es einen Minister Alfred Dick, der wohl eher als doof zu bezeichnen ist.), inzestuöse Lehrer, gütige Lehrer, läufige (Tennis-)Lehrer, Penner, kackende Indiojungen, griechische Allesstecher, griechischer Wein und griechische Hexen.... alles erste Sahne. Und wenn uns lieb (oder weniger lieb) gewordene Figuren verlassen wie die halbe Familie Schildknecht oder das Zopfwunder Marion Beimer, die sich in ihrer Freizeit der Blockflöte sowie der Priesterflöte Mathias (jetzt reichen aber die Flötenwitze! Wie gut, daß Benni Schlagzeug spielt...) widmete, so tauchen sofort neue Gesichter auf wie der patzige und putzige Selin (?) mit seinem Gummiball-Tick.

Und sollte Dr. Dressler einmal langweilen mit den Sinfonien, die er im Suff immer hört, oder Lydia Nolte mit ihrem 'Gutsein', oder Chris Barnsteg mit ihrem 'Doofsein', oder ist Mutter Beimer mal zu muttihaft, oder führt sich Elena Sarikakis wie verdorbenes Tsatsiki auf, oder weiß man immer noch nicht, was eine Wienerin in einer münchener Wohngemeinschaft zu suchen hat, oder ärgert man sich, daß Gung Anna immer noch nicht flachgelegt hat, oder daß unser geliebter Benni (der French "L" der lindenstraße) Onkel Franz immer noch nicht kaltgemacht hat - nun, so ist halt das Leben. Die meisten Menschen sind außergewöhnlich trivial und banal und reden wirklich so, wie sich das Sozialpädagogen immer vorstellen (ich hab da einen Brieffreund in Bielefeld... oioioi... ). Und trotzdem finde ich die 'lindenstraße' unglaublich unterhaltsam. Es ist, als spielte man 'Mensch ärgere dich nicht' mit Hannelore Kohl, Brigitte Mira und Idi Amin.

Auf Wunsch und Befehl von Max Goldt signiert vom Verfasser Michael Gerhardt!

© 1988 Ich und mein Staubsauger    [Zurück zum Titel]