Ich und der Sex-Tourismus Regelmäßigen Staubsauger-Lesern wird bereits aufgefallen
sein, daß die Autoren dieses Blattes überaus reisefrohe Kreaturen
sind. Besonders gerne ziehen sie nach London und berichten ja auch dauernd davon.
Nur ich scheine nicht vom Fleck zu kommen, allenfalls nach Mannheim, Aachen
oder Bremerhaven scheint es mich mal zu führen. An sich bin ich ja auch
der beipflichtenswerten Auffassung, daß Reisen unnötig sind. Erstens
bildet Reisen viel weniger als intensives und gehaltvolles Daheimbeiben, und
zweitens erholt und erfrischt es in viel geringerem Maße als regelmäßiger
Schlaf, Abstinenz von Wirtshäusern sowie fleischlose und zuckerarme Ernährung.
Besonders sinnlos sind sogenannte Urlaube in bratpfannenartig heißen Ländern.
Ich bin sicher, daß kommende Jahrhunderte über das massenhafte Herumgereise
(und übrigens auch über die ausschweifige Sexualität und die
parlamentarische Demokratie) unserer Zeit ebenso mit dem Kopf schütteln
werden wie wir über Krinolinenröcke, Hutnadeln, König Chulalongkorn
von Siam, der mit 84 Frauen verheiratet war, oder Reichsmarschall Göring,
der auf Bahnfahrten in seinem Salonzug stundenlange Bäder nahm, während
derer er den Zug anhalten ließ, weil er es nicht liebte, wenn das Wasser
in der Wanne schwappte, selbst wenn er wußte, daß durch sein Bad
ein Lazarettzug blockiert wurde. Solche interessanten Dinge erfährt man
freilich nicht durch klobige Globettrotterei, sondern durch intensive Lektüre
des 1965 erschienenen Standardwerks "Geschichte der Staatszüge und Salonwagen"
von Paul Dost, entliehen in der Hansabücherei am Hansaplatz, in dessen
Nähe vor 70 Jahren Lenin lebte und vor 8.000 Jahren ein Elch, was ich wiederum
von einer Elchskelett-Postkarte aus dem Museum für Vor- und Frühgeschichte
in Charlottenburg, der ehedem zweitreichsten Stadt Preußens nach Wiesbaden,
wo die blöde Gruppe Felix de Luxe herkommt, weiß. Das Eisenbahnbuch
habe ich entliehen, weil ich seit Wochen auf der Pirsch nach einem Foto bin,
auf der eine Bahn in einen Tunnel hineinfährt. Ich finde aber immer nur
Bilder von Zügen, die aus einem Tunnel herausfahren, was ich in meinem
persönlichen metaphorischen Kontext obszön zu finden die Erlaubnis
habe. Beim Studieren von Eisenbahnbüchern bekommt man natürlich Appetit
auf Reisen. Bahnfahren ist eine edle und moralisch akzeptable Form des Unterwegsseins.
Man kann in galanten Zeitschriften blättern, ein vornehmes Nickerchen machen
oder auch kleine Causerien mit Damen jeden Alters und Standes betreiben. So
kam ich neulich z.B. zwischen Fulda und Göttingen mit einer Buchhändlerin
aus Paderborn ins Gespräch, die mit 60 Jahren noch begonnen hat, Theologie
zu studieren. Auf der Fahrt nach Aachen dagegen schwatzte ich - selbstverständlich
in fließendem Französisch - mit einer stark geschminkten, unermüdlich
rauchenden und daher in Brüssel lebenden jungen Iranerin. Im Iran war ich
freilich noch nie. Da würde man nicht zögern, einen Mann wie mich,
der seine Ansichten freimütig zu äußern pflegt, holterdiepolter
zu foltern. In London dagegen war ich schon oft, zuerst 1972 als Austauschschüler,
genauergesagt in Sidmouth/Devon. aber in London wurde umgestiegen. Mein Austauschschüler
war ein Polizistensohn namens Gareth Evans, der mich immer auf den Golfplatz
schleppte, David Bowie doof fand oder mir Angeln beibringen wollte, während
ich viel lieber im Youth Club mit einem obenrum bereits voll entwickelten Mädel
namens Nicola knutschen wollte, was ich hier nur äußere, um den von
French "L" in seiner überaus indiskreten Art in der letzten Ausgabe vorgebrachten
Spekulation über eine angebliche Bisexualität meinerseits neues Futter
hinzustreuen. 1974 dann war ich nochmal in London, ganz ohne Herrn Herbst, den
hageren Englischlehrer und ohne Austauschschüler, sondern allein und begierig,
meine Unberührtheit abzulegen. Das dauerte auch nicht lange. Ein Herr namens
Colin MacSoundso verfolgte mich die ganze lange Oxford Street lang, bis zu meinem
£3.00-Hotel. Der Mensch gefiel mir nicht besonders, aber er lullte mich ein
mit seinem Gerede über sein tolles Landhaus in Schottland, auf das
ich ihn schon übermorgen begleiten könne, wenn ich nur heut abend
mit ihm essen gehen würde. Nach dem Essen wurde ich in seiner Stadtwohnung
in die Geheimnisse der, wie ich inzwischen gemerkt habe, nicht besonders geheimnisreichen
gleichgeschlechtlichen liebe eingeführt. Das Einführen tat mir aber
weh und ich klagte. Da hieß es dann roh, "You gotta learn to be fucked",
was ich mit Rücksicht auf die Leser, denen Begriffe wie Abendmahl, Beichte
und Fruchtschnitte noch etwas bedeuten, hier auf gar keinen Fall übersetzen
will, da könnten welche auf Knien vor mir rutschen, mir Früchteschalen
darreichen oder mich mit Sprühdosen voll Zuneigung besprühen, nein,
das übersetz ich nicht. Ich übersetze lieber, was "Knallert" heißt.
Das ist dänisch und heißt "Moped", wogegen "Kracherl" ein österreichischer
Ausdruck für eine besonders laut sprudelnde limonade ist. Ein Moped hatte
ich von 1974 bis 1976 auch, genauergesagt ein gelbes Peugeot-Mofa, mit dem ich
manchmal nach Bovenden fuhr, wo ich einen Berufsschüler kannte,
der im Gegensatz zu dem penetranten Schotten mehr für das Mündliche
war, was mir nicht wehtat und worüber ich nicht im geringsten Anlaß
zur Klage sah. 1980 reiste ich dann in die gleißende Stadt New York,
dem Tor zur neuen Welt. Kaum war ich da, lernte ich einen rabenschwarzen Neger
kennen, mit einer typischen Mittelschichtsnegerwohnungseinrichtung, viel dunkles
Holz, Kork, Matten, afrikanischer Kitsch und modernste Elektrogeräte (Stevie
Wonder, Mikrowelle, per Knopfdruck höhenverstellbares Bett). Über
das, an das die sabbernden Leser gerade denken, will ich nur sagen, daß
es in einer normalen Unterhose Größe vier von Hertie Turmstraße
ausreichend Platz gefunden hätte (Kleiner als meiner! Aber darauf kommt
es ja überhaupt nicht an! Im Gegenteil, es geht um Gefühle, jaja!)
Anschließend machte ich die Bekanntschaft eines Hippies in Chelsea, der
mich mit Drogen vollpumpte. Dann kam ein Woody-Allen-haft jüdischer Lehrer
aus Brooklyn mit schimpansenartiger Behaarung und einer derart dreckigen Wohnung,
daß es selbst mir zu arg wurde. Außerdem verkehrte ich in Lokalen
in finsteren Straßen am Fluß, und einmal ging ich auch in einen
"Truck", einen abgestellten Lastwagen, in dem im Dunkeln von Dutzenden von Männern
Tätigkeiten ausgeübt wurden, die mit dem Ausdruck "munkeln" nicht
ganz korrekt, mit dem Begriff "gleichgeschlechtliche liebe" aber zu feinfühlig
beschrieben werden könnten. Ausgeleiert und nach Poppers riechend flog
ich dann nach San Francisco, einer langweiligen Stadt, wo es überall
furchtbar bergauf geht, woher ich vermutlich meine herrlichen Waden habe. Ich
wohnte bei einem trockenen Alkoholiker auf einem Berggipfel, von dem ich lernte,
daß Petersilie "parsley" heißt. Fünf Jahre später war
ich nochmal in Amerika, wo mich meine Freundin Susan gleich zu einem sterbenden
Schwulen ans Bett zerrte, um mich davon zu überzeugen, daß sich die
Zeiten ändern, was aber 1985 nicht mehr notwendig war. Ich bin halt extrem
überlebenslustig, ein regelrechter Sterbemuffel. Außerdem kriegt
man sowieso nie, was man will. So habe ich z.B. 1981 in Rom eine Eisdielenbedienung
angehimmelt, bekam aber einen Rechtsanwalt, den ich auf einem Gummilaken verhauen
mußte, weil ich hirschlederne Kniebundhosen trug und einen ausrasierten
Nacken hatte, was ihn wohl angenehm an die Nazis erinnerte. 1979 in Kopenhagen erkor ich mir einen norwegischen Seemann mit einem schmutzigen Pulli, einer
Zahnlücke und einem Seemansbart aus, doch der mußte noch in derselben
Nacht auslaufen oder entern oder sich aus dem Staube heuern oder wie das heißt.
So mußte ich mit irgendeinem Dänen vorlieb nehmen. Dazu muß
ich sagen, daß bis vor ca. 7 Jahren mich einerseits pekuniäre Umstände
zwangen, und andererseits mein äußeres Erscheinungsbild es zuließ,
ohne Hotelbuchung zu reisen und mir auch am Ort kein Zimmer zu suchen. So mußte
ich halt immer bei irgendwelchen Herren nächtigen. Und mit fremden Herren
ist manchmal auch nicht gut Kirschen essen. So lief ich 1983 durch Tunis,
ein Auto hielt und ein Herr fragte, ob ich etwas spazierenfahren wollte. Klar
wollte ich spazierenfahren und stieg ein. Der Herr bot mir nicht etwa Kirschen
an, sondern er öffnete seine Hose und zwang mich zur Sodomie, was mich
ehrlich gesagt nicht aus der Bahn warf. Dann drückte er mir 10 Dinar in
die Hand, was nicht die Welt ist, aber voll und ganz langte, um am nächsten
Tag in die heilige Stadt Kairouan zu fahren, wo ich einen Nejib traf,
mit dem zusammen ich einen Alkohol-Schwarzhändler aufsuchte, der im Keller
eines noch nicht fertiggestellten Neubaus ein Lagerfeuer machte, und kleine
Zeichnungen anfertigte, auf denen sich der arabische Halbmond und ein Hakenkreuz
brüderlich die Hände reichen, was mich anfangs verwirrte, bis mir
einfiel, daß die Deutschen bei vielen Arabern ausgerechnet deshalb viel
Sympathie genießen, weil sie die Juden umgebracht haben ... ich wurde
also von dem alten Mann deshalb fürstlich bewirtet, weil er in mir einen
Verbündeten im Kampf gegen das Judentum sah, oh Gott, wo war ich hingeraten,
aber der Wein und eine weitere Droge zerstreuten alle Skrupel. Später gab
der Junge dem Alten ein Zeichen, worauf der verschwand und bald mit Kissen und
Decken zurückkehrte und sich dann endgültig empfahl. Dann gabs faire
l'amour im Keller eines Rohbaus, und draußen heulten Hunde, die ich aber
zwecks Abrundung des Bildes wenigstens für Schakale oder Koyoten halten
wollte. Nach Tunesien fahre ich nie wieder, man wird ständig und überall
angemacht. Hauptsache, man ist blond und unter 30, Geschlecht ist egal. Die
aufdringlichen Knaben loszuwerden kostet mindestens drei Dinar, das ist teurer
als faire l'amour mit ihnen. Das Gegenteil von Tunesien ist Reykjavik,
wo ich 1985 weilte. Dort ist man Fremden gegenüber so zurückhaltend,
daß man es schon unhöflich nennen kann, das Bier enthält keinen
Alkohol, schmeckt wie Mariendorfer Faßbrause und kostet 14 DM das Glas.
(Eine halbe Flasche Wein in der Kneipe ca. 40 DM) |
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