Zugegebenermaßen länger als geplant geratenes Vorwort zu dem auf der nächsten Seite stehenden Artikel

Sechzehn Gardinenringe oder In Gefangenschaft der Volkspolizei von Onkel Max

Wenn eine schleswig-holsteinische body-Builderin einen südenglischen Bierkenner kennenlernt, ist es im allgemeinen so, daß sie einen unausstehlich lauten Säugling zeugen, anschließend heiraten und dann eine fröhlich-freche Zeitschrift gründen.So war es auch bei Trevor und Anne, heute in aller Munde, Ohren und Augen als "The Wilson Ehepaar". Daran ist nichts auszusetzen. Wenn die beiden dann auch noch aus alten Mosbiter Lotternächten einen Onkel mit Herz für sonderbare Ehepaare und untergrundige Presseerzeugnisse haben, trifft sich das gut. Hat dieser Onkel nun auch noch einen Onkel namens Michael Gerhardt, der drei Stockwerke tiefer wohnt (das ist jetzt nicht im übertragenen Sinne gemeint) und auch gerne Ansichten zu aber auch wirklich jedem Mist wohl und wagemutig formuliert zu Papier bringt, steht einem gedeihlichen Weiterleben der kleinen Gazette nichts mehr im Wege. Gut ist es weiterhin, wenn die Herausgeber einer Zeitschrift ihre Autoren tüchtig loben und lieben. Und sie tun es auch. NILCHT GUT ist es aber, wenn sie dauernd herumjammern, daß das Layout langweilig ist, die Schrift zu klein und sonstwas. Daher ein für allemal:
MEIN LAYOUT IST NICHT LANGWEIliG! ES IST SCHliCHT, ABER VOLL INNERER HARMONIE! DIE SCHRIFT IST GROSS GENUG! UND:ICH WERDE NIEMALS ZWEISPALTIG SCHREIBEN!! Sicher ist es notwendig, eine Zeitschrift gestalterisch aufzulockern, aber das geht doch auch anders als mit Zweispaltigkeit. Man kann z.B. auch kleine Blümchen + Hustensaftflaschen zeichnen:

Ja, Blümchen und Fläschchen sind schon etwas feines. Da kann ich nur den großen Robert Walser zitieren: WIE IST SCHÖNES SCHÖN UND HINREISSENDES HINREISSEND!
(Komisch, ich scheine immer noch beim Vorwort zu sein. Wann komme ich bloß zum Inhalt?) Bevor ich endgültig zum Inhaltlichen überwechsle, will ich aber noch Folgendes zum Besten geben: Sicher erinnern sich die Leser, daß ich vor zwei Monaten mit einem lachenden und einem weinenden Auge davon berichtete, wie Volker, der aus Bremerhaven stammende Wirt des Pinguin-C1ubs meine Schenkel mit meinen Waden verwechselte. Und das gleiche ist mir jetzt nochmals widerfahren: Vor ca. 2 Jahren erzählte mir Michael Gerhardt, daß sein Busenfreund, der kraftstrotzende Dietmar, sich in schwärmerischen Tonfall über meine Schenkel geäußert hätte. Neulich sah ich Dietmar im Kumpelnest 3000,wie er Bier trank und Kraft strotzte, und ich fragte ihn, was er denn ausgerechnet an meinen Schenkeln fände. Da sprach Dietmar(sinngemäß): "Nicht deine Schenkel sind es, die mich faszinieren, deine Waden sind es, lieber Max." Hat also Michael auch meine Schenkel mit meinen Waden verwechselt. Wenn mir das nochmal passiert, mache ich auch bodybuilding. Aber nur unten. A propos Kumpelnest: Von der einen Bedienung, diesem Kanadier oder was das sein soll mit den Tätowierungen, soll in der Münchner Gaststätte "Sodom" ein Video laufen, in dem er vor der Glyptothek wichst. Nicht, daß ICH sowas interessant fände, nein, aber meinen Lesern machen, das weiß ich genau, gerade solche Informationen Freude. "Glyptothek" klingt auch irgendwie glitschig, nicht wahr? Nun noch ein Wort zu Bremerhaven, der Heimatstadt von Pinguin-Volker: Als ich unlängst dort unterwegs war, um den Eierhafen zu inspizieren, mußte ich in helles Gelächter ausbrechen, und zwar ausgerechnet über eine Gedenktafel für die Opfer des Nationalsozialismus. An einem Haus dort ist eine Tafel angebracht mit genau folgender Inschrift:
"In diesem Haus wurden von 1933 bis 1945 Andersdenkende gepeinigt."
Kann man so etwas noch affiger formulieren? Man kann wohl kaum. Die letzten Landtagswahlergebnisse zeigen, daß man als Andersdenkender in Bremerhaven (die Stadt wurde übrigens von einem erklärten Antisemiten namens Smid gegründet) bald wider gute Chancen hat, ordentlich gepeinigt zu werden.
Doch gepeinigt werden kann man auch anderswo. [...]
Sicher kennt mancher Leser die Szene aus dem Hitchcock-Film "Torn Curtain", in der Julie Christie von einem Hotelportier informiert wird, daß Paul Newman nach Ost-Berlin geflogen sei, und sie mit den angsterfülltesten Augen der Welt "But that's behind the iron curtain" ausruft. Auch mich zog es in den vergangenen Wochen häufig hinter den eisernen Vorhang, denn nette Leute galt es zu besuchen, Musikanten und Dichter mit modernen Ansichten, die statistisch gesehen doppelt soviel Butter und dreimal so viel Schnaps konsumieren wie die Bundesbürger, aber deutlich weiniger Gemüse und genausoviel Fleisch. Darüber, daß ich in Potsdam in einer öffentlichen Toilette ein geschlossen wurde, weil die Klofrau Dienstschluß hatte, will ich hier nicht reden, auch nicht von der unglaublich spacigen (und sicher im Dunkeln leuchtenden) Erdbeertorte im Neuen Palais zu Sanssouci. Daß ich aber ausgerechnet im FDJ-Jugendclub "An der Weissenseer Spitze" (Heinersdorfer Straße 58) zusammen mit Michael,der sich Fritz nennt und ulf, der sich ulf nennt, also zwei Ost-Berliner Musikern meinen alten Schlager "Sing mir ein kleines Arbeiterkampflied" vortrug, ist doch immerhin pikant. Nach dem Konzert - "La Dolce Vita" nennt sich die empfehlenswerte Formation - hob ein reges Tratschen und Trinken an, und man muß anmerken, daß sich die ,,Weissenseer Spitze" dazu hervorragend eignet. Ist es unten zu voll, geht man ins Café, ist es dort auch zu voll, schließt einem die freundliche Bedienung das Dachstübchen auf, wo man dann in sehr intimer Atmosphäre eine Art Knutschfete minus Knutschen, also eine Art Trinkfete ohne Musik, d.h. also eigentlich gar keine Feite, sondern eine andere Art des Beisammenseins zelebrieren kann. Die Leute sind wie im Kumpelnest ,nur nicht so dumm und die Toiletten dürften die reinlichsten des sowjetischen Machtbereichs sein. Der Abend gluckert fröhlich vor sich hin, irgendwann ist es halb Zwei, und der Besucher aus dem nicht so viel Butter essenden Teil der Stadt muß sich auf den Weg zum Kontrollpunkt machen. Wirklich sehr unschön ist es aber dann, wenn man feststellt, daß sein behelfsmäßiger Personalausweis weg ist. Jawohl: einfach weg. Auch nachdem in Windeseile drei verschiedene Wohnungen durchsucht wurden und Scharen netter FDJ-ler auf dem Fußboden des Jugendclubs herumgekrabbelt sind, bleibt das Reisedokument perdü. Was tut man? Der liebe Leo und der liebe Johannes organisieren ein "Schwarztaxi" (illegal, aber geduldet) und man braust zur Ständigen Vertretung der BRD in die Hannoversche Straße, d.h.nicht direkt, der Fahrer, ein veritabler DDR-Spießer, weigert sich freilich, eine solch heikle Adresse anzufahren und wir müssen an einer unverdächtigeren Ecke aussteigen. In die Ständige Vertretung kommt man aber nicht so einfach rein, ein immerhin sehr freundlich Vopo nimmt sich erstmal meiner an. Auch Leo und Johannes müssen ihren Ausweis zeigen und wir müssen auch erzählen, wie wir uns kennengelernt haben und wo wir den Abend verbracht haben. Der Vopo holt dann zwei Kollegen, die mich zum Revier 4 in die Chauseestraße fahren in ihrem lustigen Auto, dessen Türen hinten von innen nicht zu öffnen sind. Ich winke den beiden Ostkollegen noch fröhlich nach, die noch vor einer halben Stunde mutmaßten, die Ständigen Vertreter würden mich wohl in ein CD-57-Fahrzeug stecken und über den Checkpoint Charhe rausschaffen. Aber ich bin guter Dinge und harre der Abenteuer in sozialistischer Nacht. Nach einer Stunde im Revier 4 teilt man mir mit, mein Ausweis sei gefunden worden ,beim Zoll am Grenzübergang Friedrichstraße. Dachte ich mirs doch! Diese winzigen, flutschigglatten computerlesbaren Mistdinger! Als ich mein Exemplar vor zwei Monaten ausgehändigt bekam, wußte ich, das Flutschding habe ich binnen einem Vierteljahr verloren. Aber ausgerechnet im Osten? Nun ja, er hat sich ja wieder angefunden. Doch fuhren mich die Herren Vopos leider nicht zur Friedrichstraße, "weil die S-Bahn noch nicht fährt", sondern zum Präsidium der Volkspolizei in die Keibelstraße, einem ganz berüchtigten Ort. Dort soll ich mich "aufhalten, bis wir Sie wieder abholen". "Besucherraum" heißt das vergitterte Zimmer, dessen Tür fest verriegelt wird. Ich setze mich auf einen Stuhl und lese ein drei Wochen altes "Neues Deutschland", den Artikel über das Jugendtreffen zwischen der DDR und der KDVR kann ich noch jetzt auswendig. Dann glotze ich durch die Gitter auf einen doofen Parkplatz. Später gebe ich mich aus lauter Langeweile sehr eigenartigen volkspolizeispezifischen erotischen Phantasien hin, die mich dann aber auch wieder sehr amüsieren, und als ich nach dreieinhalb Stunden von einem wahrlich nicht erogenen Genossen freigelassen werde, moniert er mein anzügliches Grinsen. "Was gibt es denn da zu lachen?" Wenn der wüßte... Vopos fahren mich zur Grenze, Grepo filzt mich noch ein Stündchen ("Wie heißtn ihre Gruppe? Sind sie Jude? Warum haben sie denn so bunte Knöppe? Ist das modern jetzt bei ihnen?" etc.)und um halb acht bin ich daheim. Als ich fünf Tage später wieder rüberfahre, mit literatur im Schuh, um eine konspirative Lesung vor schmunzelnden Antragsstellern zu machen, erzählt mir Leo, in der Pathologischen Schausammlung der Charité gebe es in Alkohol den Penis eines Masochisten, der habe sechzehn Gardinenringe in der Eichel.

© 1987 Ich und mein Staubsauger    [Zurück zum Titel]