Ganz viel Wichtiges von der tollen Funkausstellung

Diese doofen riesigen AGFA-Protz-Tüten müssen die Leute ja nur so begeistert haben. Jedenfalls schien sich kaum jemand zu blöde, mit diesem Tüten-Ungetüm über die Funkausstellung zu promenieren und damit sein mühevoll gehortetes Informationsmaterial durch die Gegend zu schaukeln. Auch wenn der Preis der l80er-Cassetten auf 9.95 DM geschrumpft ist, sollte das noch lange kein Grund sein, die Tüten-Nachbildung auf "Wrigley's Spearmint Gum" (gum gum gum) Unterm-Arm-Trage-Größe aufzublasen. Da tun sich einem doch immer diese Horrorvisionen auf von 2m langen Kaugummis oder Dick und Doof als Kinder in einer doppelt so groß gebauten Filmkulisse mit Riesen-stühlen und Riesenbauklötzen.
Je größer desto besser schien überhaupt das Motto der diesjährigen Funkausstellung zu sein (das angebliche Zauberwort "Digitalisierung" bekam ich befremdlicherweise nirgends zu hören). Bezaubernd aber die hübschen Stände und Buden der Firmen. "Goldstar", diese Firma mit dem so schrecklich seriös klingendem Namen, mußte unbedingt beweisen, daß sie kein neuer Name für Neckermann/Quelle ist. Schade drum. Lustige Psychedelik-Kullerbälle gab's bei SCOTCH zu gewinnen, weil geschenkt gab's dieses Jahr kaum was. Ach doch, Nina Hagen gab's überall als Dreingabe. An einem Nachmittag habe ich sie gleich in drei Fernsehsendungen miterleben dürfen. Toll, wie sich unsere deutsche Belly Idol immer wieder selbst hinkriegt. Die Frau ist so authentisch wie Madonna eine zweite Marylin ist. Nun habe ich schon einen Freund, der im Madonna- Fieber die Bravo-übersetzungen ob ihrer sprachlichen Ungenauigkeiten rügt, da mag es auch schon jemanden geben, der Nina vielleicht für den deutschen Ur-Punk hält. Deutsche Versionen sind vermutlich von Natur aus etwas... eh... farbloser als ihre englischen oder amerikanischen Originale. Oder waren Conny & Peter nicht ein heißes, ganz und gar wildes und ungestümes Rock 'n' Roll-Duo? Neben unserer Nina, die auch "viel mit Kreuzberger Punkbands zusammen gemacht" hat (sagt sie selbst, so als würde sie gleich für'n SPIEGEL schreiben) gab's in der MUSICBOX noch viel Größeres, will meinen,: aufregenderes.
Etwa die Gropiuslerchen ("Berlinberlin"), so peinlich-erheiternd wie Klassenfahrt-Wessies, also überhaupt nicht.
Diese politische Message war in ihrer Tiefschürfigkeit nur noch von Udo lindenberg zu unterbieten. Der war auch gleich zweimal vertreten, zwar nur per Video, aber dafür umso erbarmungsloser. Weghören oder wegschauen war nicht, man war von Monitoren umzingelt. Also denn: "98 Lustballons", eine augenzwinkernde Verbeugung vor dem großen Erfolg der Berliner Sängerin Nena, ein kleines, freches lied zum Thema "Safer Sex" (trief,seiber). Hörte sich an, als würde besagte Nena auch mitsingen. Hm, ich weiß ja nicht, erst ihre Hundebabys, und jetzt Kondome, ob sich das nicht irgendwo beißt. Aber Udo, ja der spürt, was der deutschen Seele unter den Fingernägeln brennt: Honni, Aids, ganz selbstlos ist er mal wieder. Von so heißen Eisen sollte so altes Eisen lieber die runzligen Finger lassen, und überhaupt ist Udo ja mindestens so viel Berliner wie Nina.
Wer will als nächster?
So viele verkappte Wunsch- und Immerschon-Berliner wie dieses Jahr habe ich noch nie erlebt. Erfreulicherweise hatten all die tollen Stars aber auch ein ihnen vollkommen gerecht werdendes Publikum. Mit Ausnahme von zwei Typen sahen alle aus wie in einer großen, bescheuerten Fernseh-Werbefamilie, adrett und doof. Genauso benahmen sie sich auch.
Den Harrow, smarter und - wie las ich unlängst - "kuschliger" Entertainer, der er nun einmal ist, zerfetzte vor den Augen seiner Fans (und Nichtfans) sein soundsovieltes Hemd (was für ein Material das wohl sein mag? Vielleicht schon vorperforiert, damit's besser reißt?), stellt sich an den Bühnenrand und alle, alle reißen mit. Hoffentlich hat er dabei wenigstens ein paar seiner knuddeligen italo-amerikanischen Brusthaare lassen müssen. Würde mich allerdings keineswegs wundern, wenn die nicht auch künstlich wären, damit er sie sich, mit dem ihm angeborenen feurigen Temperament der Südländer, vor seinen ohnmächtigen Verehrerinnen ausrupfen kann.
Nach irgendsowelchen sonnenversengten Ibiza-Boys dann Amanda Lear. Madame sieht immer noch so aus wie das tartarische Gewissen von Lena Valaitis und singt wieder ihren einzigen NichtHit "Follow Me" von 1978. Wär ich sie, hätte ich doch gewartet bis der Dali nun richtig tot ist. Das wäre doch ein viel hübscherer Anlaß für ein Comeback.
Kommt mir ein übler Gedanke: Nicht auszudenken, wenn Madonna jetzt stürbe. Sie könnte sich selbst ja nichts besseres antun als freiwillig aus dem Leben zu scheiden.Da käme sie doch ganz groß raus. Sicher denken ihre Familienangehörigen, derer es ja nicht allzuwenige gibt, über diesen durchaus ernstzunehmenden Schritt nach. Unsterblichkeit ist ja kein Dreck, vor allem, wenn die Zeichen so günstig stehen. Ob WEBOP auch unsterblich wird, weiß ich nicht, schade ist trotzdem, daß der Laden in der Uhlandstrasse dichtmacht. Wo sonst stand noch bis vor kurzem XTC Go2 anständig wie jede andere Platte auch im normalen Regal (und Aroma Plus für 5 DM)? Unvergänglich hingegen scheint Graham Bonney zu sein,aber auch die Rubettes und Middle of the Road sind wieder da. Alle mußten sich natürlich die Funkausstellung für ihr schwabbeliges Comeback aussuchen. Widerlich.
Die technischen Errungenschaften dieser Fachmesse waren, verglichen mit den großen Stars des internationalen Showgeschäfts, doch eher nebensächlich. Dennoch beeindruckt war ich von der erstaunlichen Leistung eines außereuropäischen Videogeräte-Herstellers, dessen Messeschwätzer selbst kaum Worte für jenes technische Meisterwerk fand: Ein Videorecorder, der ein Jahr im Voraus zu programmieren ist! Eine feine Sache. Besonders geeignet für notorische Weltumsegler, Winterschlaf-Halter, "Chronik-des-Jahres"-Fans und alle, die ihr 4-Std.-Band noch heilig halten.
Nochmal gehe ich aber, glaube ich, nicht zur Funkausstellung, auch nicht, wenn ich da Geld verdienen könnte. Ich darf gar nicht daran denken, daß ich eigentlich die ganze Zeit auf der IFA Hinweisschilder hätte malen sollen. Da bekomm' ich jetzt noch eine Gänsehaut (Haare-richt-auf).
Als Müllbeutel ist die AGFA-Tüte auch nicht so gut. Bevor man die so richtig voll bekommt, ist bestimmt das ganze Haus vor Gestank ohnmächtig geworden.

Auf dem Heimweg haben wir noch etwas ganz niedliches gesehen: Einen weißen BMW-Turbo B-ST 162. Der hatte nicht nur einen Boss-Aufkleber hinten drauf, sondern vor allem ganz viele Lämpchen in der Heckscheibe. Also nicht bloß zwei von diesen extra-bescheuerten Bremsleuchten, sondern ein regelrechtes lichtermeer. Und, umrahmt von diesen fröhlichen lichterketten, in der Mitte des Fensters ein possierliches Kästchen, in dem, je nach Bremsverhalten, das kleine Wörtchen STOP aufleuchtete oder verlosch. In diesem Kraftfahrzeug - so sagte ich mir - muß wahrlich ein feinfühliger Mensch sitzen, versteht er es doch, seinem vierrädrigem Gefährt auf jene entzückende Weise Persönlichkeit, ja Charakter zu verleihen.

French"L"
© 1987 Ich und mein Staubsauger    [Zurück zum Titel]