Urin, Heidelbeeren und Marc Almond
von Onkel Max

Frage:  Wie wertvoll darf ein Wertbrief einerseits nach Luxemburg, andererseits nach St. Helena sein?
Antwort:  Nach Luxemburg genau 21.280 DM, nach St. Helena aber nur 270 DM.
Frage: Wenn ich meiner Tante in Nordkorea einen 20 kg schweren Gegenstand auf dem Luft/Seeweg schicke, kostet das DM 90,50 Porto. Wäre es da nicht günstiger, eine Tante in Südkorea zu haben?
Antwort: Viel günstiger. 20-kg-Sendungen nach Südkorea sind nicht zugelassen.

Woher ich das weiß? Aus dem Postbuch '86, einem 480 Seiten dicken teils farbigen Din A 4 - Werk. Erhältlich für 7 DM auf jedem Postamt. Für mich ist es unentbehrlich. Woher sollte ich sonst wissen, daß ich eine LP als Warensendung schicken kann, aber zwei LPs nur als Päckchen oder Brief? Die preisgünstigen Warensendungen gibt es nämlich nur bis 500g und ins Ausland überhaupt nicht. Interessant am Postbuch ist aber vor allem, was die Post alles verbietet. So darf man auf Briefen z.B. nicht den Bestimmungsort unterstreichen. Schlüssel dürfen nicht in Briefumschlägen verschickt werden, sondern innerhalb Deutschlands nur unverpackt mit einem Anschriftsanhänger. Die Gebühr von 4,90 wird vom Empfänger eingezogen. Schickt also eure alten Schlüssel an eure Feinde!
Postkarten dürfen nicht mit Glückspfennigen beklebt werden und dürfen nur 500g/m2 wiegen. Das Mindestgewicht ist 170g/m2, nur bei Versendung von "Gardapat 13-Papier" läßt die Post Karten mit einem Gewicht von 150g/m2 versuchsweise zu. Auf Seite 47 stehen die Sachen, die von der Postbeförderung ausgeschlossen sind, z.B. Kisten mit vorstehenden Nägeln, Feuerwerkskörper (ausgenommen Feuerwerkspielwaren), verflüssigte Gase, Sendungen mit Vermerken politischen oder religiösen Inhalts auf der Anschriftseite, Benzin und radioaktive Stoffe mit einer Ortsdosisleistung von mehr als 0,5 millirem/h an der Außenseite der Sendung. Viel erstaunlicher sind aber jene Gegenstände, deren Beförderung die Post auf S. 49 ausdrücklich gestattet, möglicherweise sogar begrüßt:
Urin und andere Ausscheidungsstoffe: Man soll sie aber, rät die Post, so verpacken, "daß sie nicht auslaufen können".
Beeren, Trauben, frisches Fleisch: Sollen in Eimern, Körben oder Kisten, die mit aufsaugenden Stoffen abgedichtet sind, verpackt werden. Für Heidelbeeren gelten Sonderbestimmungen. Hier sind "widerstandsfähige Blech- und Kunststoffgefäße" erforderlich. Erheiternd der Zusatz, daß es sich hier "eventuell" (!) empfiehlt, "Eilzustellung zu verlangen".
Krankheitserreger: "Für den Versand von Krankheitserregern (Erreger von Cholera, Pest, Rotz, Rinderpest, Schweinepest etc.) gelten besondere Vorschriften."
Und jetzt kommt der Satz, der allein schon die 7 DM für das Postbuch wert ist:
"Erforderlichenfalls erkundigen Sie sich bei Ihrem Postamt".
Das stelle man sich mal vor, wie der Schalterbeamte guckt, wenn man sich erkundigt, wie man denn Choleraerreger am günstigsten versende, wennmöglich gar Rotz nach Nordkorea! Heidelbeeren wären ja schon peinlich genug, aber nach Rotz will man ja nun wirklich nicht fragen, daß die Verfasser des Postbuches da so unsensibel sind!

Ansonsten ist aber das Postbuch gar nicht so interessant, wie Trevor im letzten Staubsauger geschwärmt hat. Es steht viel langweiliges Zeug über Postprotestaufträge, telex, Bildschirmtext etc. drin. Interessant sind noch ein paar groteske Telephonmodelle wie "Oslo" aus Eschenholz, das aussieht wie eine Vagina von Ikea; und manchen Leser wird es in Fingerschnipslaune versetzen, zu erfahren, daß gegen eine Gebühr von nur 130 DM vierteljährlich Briefkästen auch in privaten Räumen aufgestellt werden und regelmäßig geleert werden. Insgesamt gesehen kann man sagen, das Postbuch ist besser als der Duden, aber nicht so gut wie die Bibel.

**:Briefkästen

Jetzt noch einige Kurze Bemerkungen über Marc Almond. Jeder anständige Mensch auf der Welt ist der Ansicht, daß Marc Almond ein lieber und herzensguter Mann ist, einer den man herzen und drücken und dessen Konzerte man zahlreich besuchen und begeistert beklatschen sollte.
So ist es und so sollte es auch sein. Nach dem Konzert soll man noch etwas rumstehen und ein Bier trinken oder vier und einander sagen, wie schön es wieder war. Unbedingt vermeiden sollte man es, mit Kassettenrekordern in der Hand dem Künstler hinter die Bühne zu verfolgen und ihn durch aufdringliches Fragen der wohlverdienten Entspannung zu berauben. Es sind sowieso immer die gleichen Wichtigtuer, die nach Konzerten in den ohnehin immer überfüllten Backstageräumen den Musikern ihr weniges Bier wegtrinken, diese allgemein schmächtigen vierzigjährigen TipZittys, die halt gerne zuschauen, wie allgemein kräftige zwanzig-jährige englische Musiker ihr verschwitztes Oberteil ausziehen. Insbesondere meine ich Kade Eraserhead und den Ex-Underground-Potentaten Burkhard "Zensor" Seiler, der jetzt aufgedunsene Soulgrößen in den Osten verhökert. So verstanden wir, Anne, TED und ich, die wir Santtttrrrra gemeinsam vermieden und Almond gemeinsam genossen haben, es nur allzu gut, als Monika, hektisch mit Sektflaschen für ihren Lieblingssänger jonglierend, uns beschied, daß Marc Almond während Touren grundsätzlich keine Interviems gebe. Was hätte man den denn fragen sollen? Sein Herz ist rein, seine Band ist niedlich, seine Musik ganz normal und seine Faszination vom Glamour der Gosse so durchschnittlich und schlicht, daß es da einfach nichts zu fragen gibt. Ich frage mich aber doch, was an dem Mann dran ist, daß z.B. Anne, diese robuste, von allen Mühlen des Lebens gemahlene Frau, nach dem Konzert eingestandermaßen einen feuchten Schlüpfer hatte. Auch Ted, der jetzt übrigens in der Eierschale am Kudamm arbeitet und das auch noch gut findet, hingen Tropfen an der Lippe. Nur ich war nirgendwo naß. Ich habe mich zwar gut unterhalten, aber geil war es nicht, Herr Almond verläßt sich nämlich zulasten der Nuance des Ausdrucks zu sehr auf die Wirkung einer "großen Stimme". Man nennt das im Allgemeinen "knödeln". Hinterher im Swing traf ich einen Gilbert Blecken von einer Steglitzer Schülerzeitung, der allgemeines Geschmunzel auslöste, als er auf die Frage nach seinem Alter mit "Ich geh jetzt in die Elfte" antwortete. Der Titel der letzten Almond-LP verherrlicht übrigens das Masturbieren und das ist gut so.

© 1987 Ich und mein Staubsauger    [Zurück zum Titel]