GOTTESDIENST - REZENSION! von Max Goldt

Katholische Kirche Ludwigkirchplatz 22.2.87 l0.30

Rote Backsteingotik, Anfangszeiten wie im Kino: 8.00, 9.15, 10.30, 11.45, 13.OO. Wir wählten die mittlere Messe, weil wir fürchteten, daß der Priester bei den späteren nur noch leiern würde. Ich traf mich mit Nickola 15 min vor Beginn, um mich vorher noch instruieren zu lassen, wie rum man sich bekreuzigt und so. Nickola ist zwar seit kurzem Zen-Buddhistin, aber als ehemalige Klosterschülerin noch top kirchenfit. Uns ging es beiden gar nicht extra: Sie hatte Frauenbauchweh(so nannte meine Oma Menstruationsbeschwerden) und ich einen Kater. Nach Betreten des Gotteshauses tunkten wir je eine Hand in Weihwasser, bekreuzigten uns, knieten im Mittelgang nieder, bekreuzigten uns abermals, setzten uns hin und blätterten in einer Zeitschrift von 1967, die da komischerweise rumlag. Die Kirche wurde knallvoll, es gab Omas, einen jungen Mann in Lederkluft, Familien mit Kindern und viel Jugend vom Typ "junger engagierter Christ", aber auch echte Mönche von der Herz-Jesu-Bruderschaft. Bald fing auch das Gesinge an, die Lieder waren mir unbekannt und auch recht banal, also schwieg ich. Bisweilen ertönte auch ein richtiger Kirchenchor mit einer Bruckner-Messe, das klang schon besser. Übrigens hat man in einem katholischen Gottesdienst viel Bewegung. Man muß andauernd aufstehen und sich wieder setzen oder sich hinknien, feste Regeln indes scheint es nicht zu geben; die G1äubigen machen es ganz nach Gusto und Fitness. Es ging ziemlich durcheinander zu. Der ca. 40-jährige, bärtige Priester erinnerte wegen seiner in ein grünes Kleid gehüllten Leibesfülle stark an Demis Roussos. Die Farbe des Gewandes hat mit dem Liturgischen Jahr zu tun, zu Ostern trägt er lila. Enttäuschend war, daß sich der Priester keine eigene Predigt ausgedacht hatte, sondern nur ein ödes Rundschreiben von Bischof Meissner verlas. Ich war aber ohnehin abgelenkt durch einen der Meßdiener, ca. 16 und ziemlich gestylt, mit Strähnchen im Haar, hätte ich weiter vorn gesessen, hätte ich ihm gerne zugezwinkert. Kurz nach der Predigt gab es den "Friedensgruß", das ist eine umstrittene Neuerung, auf die ich nicht vorbereitet war: Die G1äubigen erheben sich und schütteln allen, die neben, vor und hinter ihnen stehen, freudestrahlend beide Hände. Manche verweigern sich aber auch, die gramgebeugte Greisin neben uns hatte ihre Hände in einem Muff verborgen, und man kann der Frau die Hände ja nicht aus dem Muff reißen. Dann der Höhepunkt: Die Eucharistiefeier. Gemessen schreitet man zum Altar, der Priester gibt einem eine Hostie, sagt, daß das der Leib Christi sei und man antwortet "Amen". Früher wurde einem das Brot noch direkt in den Mund gesteckt, heute kriegt man es in die Hand. Die Muff-Oma hat sich kein Brot geholt, wahrscheinlich hatte sie etwas auf dem Kerbholz und hat es noch nicht gebeichtet. Nickola sagte, wenn man mit Gott nicht im reinen ist, darf man nicht zur Kommunion, streng genommen müsse man jedesmal vorher beichten. In meiner ultrakatholischen Kindheit mußte ich auch jede Woche zur Beichte und erzählte Pastor Elskamp dann so aufregende Dinge, wie z.B. daß ich erst um viertel nach neun das Licht ausgemacht habe. Meistens habe ich noch ein paar Sünden dazuerfunden. Das haben alle gemacht, dieses Sich-Sünden-Ausdenken ist katholisches Gemeinschaftsschicksal. - Nach der Messe sind wir noch Kaffee trinken gegangen.
© 1987 Ich und mein Staubsauger    [Zurück zum Titel]